Niederländisches Gesetz über die gerichtliche Bestätigung von außergerichtlichen Vergleichen (Wet Homologatie Onderhands Akkoord, WHOA)

Am 1. Januar 2021 ist das niederländische Gesetz über die gerichtliche Bestätigung von außergerichtlichen Vergleichen (WHOA) in Kraft getreten. Das Gesetz ist aus dem Bedürfnis heraus entstanden, Unternehmen, die sich in finanziellen Problemen befinden, mehr Handlungsspielraum für eine Reorganisation außerhalb einer Insolvenz zu verschaffen. Gläubiger (und die übrigen Stakeholder wie zum Beispiel auch Gesellschafter und Investoren) werden dabei verpflichtet, an einem außergerichtlichen Zwangsvergleich mitzuwirken. Die Idee dabei ist, dass ein Vergleich gezogen werden muss zwischen der Situation, in der sich die Betroffenen im Falle einer Insolvenz befinden würden und der Situation, die durch Inanspruchnahme des WHOA erreicht werden kann. Im Allgemeinen muss dabei davon ausgegangen werden, dass oftmals ein höherer Sanierungswert außerhalb der Insolvenz als innerhalb eines Insolvenzverfahrens erreicht werden kann. Denn davon profitieren letztendlich auch die Gläubiger, so der Gedanke. Das gilt vor allem in der heutigen Zeit, in der viele Unternehmen durch die Corona-Pandemie finanziell empfindlich getroffen wurden. Das WHOA kann ein Ausweg sein, um die Schulden lebensfähiger Unternehmen zu sanieren.

Das WHOA wurde untere anderem von der amerikanischen Chapter 11-procedure und der englischen Scheme of arrangement-procedure inspiriert. In der Praxis hat sich gelegentlich gezeigt, dass große Unternehmen ihren Sitz vorübergehend oder dauerhaft an einen Ort außerhalb der Niederlande verlegen, um ihre Schulden zu restrukturieren. Die Mitgliedsstaaten wurden inzwischen auch von Europa aufgefordert, geeignete Rechtsvorschriften zur Restrukturierung auf Basis der Richtlinie 2019/1023 zu formulieren. Das WHOA ist keine direkte Folge dieser Richtlinie, entspricht aber ihrem Geist.

Voraussetzung Inanspruchnahme WHOA

Die wichtigste Voraussetzung zur Inanspruchnahme des WHOA ist der Nachweis, dass sich der Schuldner in einem Zustand befindet, in dem es nach vernünftigem Ermessen glaubhaft ist, dass er seine Verbindlichkeiten nicht länger bedienen kann (Artikel 370 Absatz 1 des (niederländischen) Insolvenzgesetzes Fw). Es kann auch so sein, dass der Schuldner seine Verpflichtungen zwar kurzfristig erfüllen kann, dass aber keine realistische Zukunftsperspektive besteht und bereits im Vorgriff auf diesen Zeitpunkt bereits die Sanierung eingeleitet wird.

Anfangserklärung

Das Verfahren beginnt mit der Hinterlegung einer sogenannten Anfangserklärung (Anlage 1 zur Verfahrensordnung WHOA). Nicht nur der Schuldner, sondern auch ein Gläubiger, ein Gesellschafter, der Betriebsrat oder die Mitarbeitervertretung können erwirken, dass das WHOA bei einem bestimmten Schuldner in Kraft tritt. Der große Unterschied besteht allerdings darin, dass diese Stakeholder selbst keinen Vergleich anbieten können, sondern dies nur über einen Antrag an das Gericht zur Benennung eines Umstrukturierungsexperten tun können (Artikel 371 Absatz 1 Fw).

Umstrukturierungsexperte

Der Schuldner und somit auch die oben genannten anderen Stakeholder können bei Gericht einen Antrag auf Ernennung eines Umstrukturierungsexperten einreichen. Diese Vorgehensweise wird häufig gewählt, um jeglichen Anschein von Interessenskonflikten zu vermeiden und das Vertrauen bei den Gläubigern zu schaffen, dass aus guten Gründen ein erreichbarer Vergleich angeboten wird. Grundlage dafür ist, dass das Gericht einem Antrag zur Benennung eines Umstrukturierungsexperten stattgibt.

Abkühlungsperiode

Zeitgleich mit der Hinterlegung einer Anfangserklärung kann auch ein Antrag auf Einleitung einer Abkühlungsperiode eingereicht werden, damit das Unternehmen Zeit zur Fortsetzung und Erzwingung eines Vergleichs bekommt. ohne dass einzelne Gläubiger Anspruch auf die Vermögenswerte des Schuldners erheben. Bestandteil der Abkühlungsperiode kann auch die Aussetzung eines Antrags auf Zahlungsaufschub, eines Insolvenzantrags oder die Aufhebung einer Pfändung zu Lasten des Schuldners sein.

Freiheit bei der Gestaltung des Vergleichs

Der den Vergleich anbietende Schuldner hat im Rahmen des WHOA viele Freiheiten bei der Gestaltung des anzubietenden Vergleichs. Der Vergleich muss nicht per Definition die Zahlung eines bestimmten Betrags an den Gläubiger zum Ziel haben, er kann sich zum Beispiel auch auf die Änderung laufender Verträge oder die Umwandlung (eines Teils) der Verbindlichkeit in Gesellschaftskapital beziehen. Durch den anzubietenden Vergleich werden die Ansprüche des Gläubigers und (oder) der Gesellschafter geändert.

Die Folgen des WHOA sind weitreichend, daher wurde sorgfältig über die Instrumente nachgedacht, die zur Verfügung gestellt werden müssen, um Gläubiger und Gesellschafter an einen Vergleich zu binden, ohne dass diese sich diesem zu leicht widersetzen können, selbstverständlich mit den erforderlichen Garantien. Es ist im Rahmen des WHOA zum Beispiel möglich, die Ansprüche der Gesellschafter zu begrenzen. Das kommt zum Ausdruck in der Bestimmung, dass der Beschluss, den die Gesellschafterversammlung zur Ausgabe neuer Anteile fassen muss, außer Acht gelassen werden kann (Artikel 370 Absatz 5 Fw). All dies zielt selbstverständlich darauf ab, einen Vergleich auch gegen den Willen der Gesellschafter anbieten zu können. Es bietet zum Beispiel einen Ausweg, wenn sich ein Schuldner entscheidet, eine Gruppe von Gläubigern zu bilden, deren Verbindlichkeiten in Gesellschaftskapital umgewandelt werden (der sogenannte „debt for equity – swap”). In diesem Zusammenhang kann für neu auszugebende Anteile auch das gesetzliche Vorzugsrecht bestehender Gesellschafter beschränkt werden (Artikel 370 Absatz 5 Fw), sodass diese sich grundsätzlich nicht dagegen wehren können.

Der Vergleich und die dazugehörende Gruppeneinteilung

Das WHOA wird auch deshalb zu einem augenscheinlich funktionierenden Instrument, da in Bezug auf (verschiedene) Gläubiger verschiedene Gruppen von Gläubigern gebildet werden können. Dabei ist es aber wichtig zu erklären, warum eine bestimmte Gruppeneinteilung gewählt wurde. Sofern ein Vergleich letztendlich zum Zwecke der gerichtlichen Bestätigung vorgelegt wird (Bindung der Gläubiger), wird das Gericht dies nämlich auch betrachten. Hat das Gericht dann den Eindruck, dass kein berechtigter Grund für die verschiedenen Gruppen vorliegt, kann der Antrag auf gerichtliche Bestätigung abgewiesen werden. Auch in diesem Zusammenhang scheint das WHOA einen pragmatischen Ansatz zu haben: Es kann bereits im Vorfeld (im Anfangsstadium) ein Beurteilung des Gerichts in Bezug auf eine bestimmte Gruppeneinteilung angefragt werden, sodass sich in dieser Hinsicht beim späteren Antrag auf gerichtliche Bestätigung keine Überraschungen ergeben.

Diese Freiheit gibt dem Schuldner somit auch die Möglichkeit, die Gläubiger strategisch einzuteilen und die Erfolgschance des Vergleichs zu erhöhen. Es kann für jede Gruppe ein Vorschlag unterbreitet werden und es wird für jede Gruppe separat über den Vergleich abgestimmt.

KMU-Gläubiger

Für KMU-Gläubiger gilt prinzipiell, dass im Rahmen des Vergleichs mindestens 20 % ihrer Forderungen bezahlt werden. Für die Fälle, in denen dieser Prozentsatz nicht erreicht wird, wurde eine besondere Regelung geschaffen (Artikel 374 Absatz 2 des (niederländischen) Bürgerlichen Gesetzbuches BW). Sofern ein Gläubiger (1) unter die KMU-Gläubiger-Regelung fällt – was bei einem Unternehmen gemäß Artikel 2:395a und 2:396 BW, bei Freiberuflern und Einzelunternehmern (mit weniger als 50 Arbeitnehmern) der Fall ist – (2) eine Forderung aufgrund von gelieferten Waren oder erbrachten Dienstleistungen bzw. eine Forderung aufgrund einer unerlaubten Handlung hat und (3) im Vergleich weniger als 20 % angeboten werden, dann müssen diese Gläubiger gemeinsam in eine oder mehrere separate Gruppen eingeteilt werden. Das bedeutet, dass die KMU-Gläubiger somit separat von den anderen Gläubigern und Gesellschaftern abstimmen und sich auf Wunsch (bei Gegenstimmen) für die gerichtliche Bestätigung auf die relevanten Ablehnungsgründe berufen können.

Auch für Gläubiger mit einem Pfand- oder Hypothekenrecht gilt, dass sie in dieselbe Gruppe eingeteilt werden müssen (Artikel 374 Absatz 3 Fw). In Artikel 375 Fw ist angegeben, welche Informationen stimmberechtigten Gläubigern und Gesellschaftern übermittelt werden müssen, damit diese über ausreichende Informationen für eine Abstimmung verfügen. Ein anzubietender Vergleich enthält zum Beispiel eine Übersicht über alle Erträge und Aufwendungen, Informationen über die finanzielle Situation des Schuldners, eine Beschreibung der Ursache der finanziellen Probleme, Sanierungsmaßnahmen, die Bestandteil des Vergleichs sind und die Art und Weise, auf die diese zu einer Lösung beitragen (Art. 375 Abs. 2 Fw).

Arbeitnehmer ausgenommen

Die Ansprüche der Arbeitnehmer, die auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages bestehen, können nicht geändert werden (Artikel 369 Absatz 4 Fw). Das WHOA gilt somit nicht für Arbeitnehmer und ihre Arbeitsverträge.

Vertragsänderungen

In Bezug auf langfristige (Dauer-) Verträge hat das WHOA potenziell ebenfalls eine weitreichende Wirkung. Der Partei, mit der der Schuldner einen Vertrag geschlossen hat, kann ein Vorschlag zur Änderung oder Beendigung des Vertrags unterbreitet werden. Sofern die davon betroffene Partei dem nicht zustimmt, kann bei Gericht die Zustimmung zur einseitigen Kündigung des jeweiligen Vertrags beantragt werden, unabhängig davon, was diesbezüglich im Vertrag selbst formuliert ist. So kann es passieren, dass ein nicht vorzeitig kündbarer Vertrag doch vorzeitig endet. Die Schadenersatzforderung, die dem Vertragspartner anschließend nach dieser Beendigung zusteht, kann der Schuldner wiederum im Vergleich umschulden.

Abstimmung Vergleich

Bei der Ermittlung des Abstimmungsergebnisses geht es allein um die tatsächlich abgegebenen Stimmen. Mit anderen Worten: Der Gläubiger, der nicht abgestimmt hat, wird bei der Berechnung der Gruppe der Gläubiger, die zusammen mindestens 2/3 der Gesamtsumme der Forderungen innerhalb einer bestimmten Gruppe von Gläubigern ausmachen, nicht berücksichtigt. Ein Vergleich, der von den Gläubigern angenommen wurde, kann dem Gericht vorgelegt werden, wenn mindestens eine Gruppe von Gläubigern dem Vergleich zugestimmt hat (cross-class cram down).

Cross-class cram down

Der Schuldner, der mehrere Gruppen von Gläubigern gebildet hat, kann wie gesagt bereits die gerichtliche Bestätigung beantragen, wenn mindestens eine dieser Gruppen dem Vergleich zugestimmt hat (Artikel 383 Fw). Mit anderen Worten: Dadurch kann die Zustimmung der Gläubiger aus einer Gruppe (2/3 Mehrheit) dazu führen, dass alle anderen Gläubiger aus den anderen Gläubiger-Gruppen an den zur gerichtlichen Bestätigung vorgelegten Vergleich gebunden werden. Dabei gilt allerdings die Bedingung, dass die jeweiligen Gläubiger im Falle der Insolvenz voraussichtlich vollständig oder zumindest teilweise bezahlt werden können. Mit anderen Worten, die Kategorie muss faktisch in „the money” sein und das ist sie, wenn sie bei einer Liquidation im Falle der Insolvenz vollständig oder teilweise bezahlt werden kann. Bei der (strategischen) Gruppeneinteilung muss daher auch die Möglichkeit eines Cross-class cram down berücksichtigt werden.

Gerichtliche Bestätigung des Vergleichs

Nach der Abstimmung wird in der Regel ein Antrag für eine gerichtliche Bestätigung eingereicht. Dabei wird davon ausgegangen, dass ein angenommener Vergleich auch bestätigt wird, sofern kein allgemeiner Abweichungsgrund (Artikel 384 Artikel 2 Fw) oder ein spezifischer Abweichungsgrund (Artikel 384 Absatz 3/4 Fw) vorliegt. Die Folge eines gerichtlich bestätigten Vergleichs ist die Verbindlichkeit des Vergleichs für den Schuldner und alle stimmberechtigten Gläubiger. Der Vergleich gilt somit auch für einen stimmberechtigten Gläubiger, der keine Stimme abgegeben hat. Ein gerichtlich bestätigter Vergleich kann nicht aufgehoben werden und auch im Vergleich selbst wird festgelegt sein, dass der Vergleich nicht aufgehoben werden kann.

Going-concern?

Das WHOA ist nicht nur für Unternehmen gedacht, die nach der Sanierung ihrer Verbindlichkeiten ihre Geschäftstätigkeiten fortsetzen, sondern kann auch für eine kontrollierte Beendigung der Geschäftstätigkeiten und die Abwicklung des Unternehmens eingesetzt werden. Wenn die Bedingungen für eine Inanspruchnahme des WHOA erfüllt sind, kann auf diese Weise das Unternehmen auch außerhalb der Insolvenz eingestellt werden. Das eröffnet die Möglichkeit, auf einen Insolvenzverwalter zu verzichten und nicht auf einer Restschuld sitzen zu bleiben.

Begrenzte Unsicherheit bei Finanzierung der Restrukturierungen über das WHOA

Das WHOA bietet auch Investoren mehr Sicherheit, um eine Rettungsoperation in Gang zu setzen. So ist zum Beispiel gesetzlich festgelegt, dass eine Finanzierung mit Sicherheiten und einer Ermächtigung durch das Gericht keine betrügerische Handlung darstellt (Artikel 42a Fw). Das müsste dazu führen, dass Investoren schneller bereit sind, bei Anwendung des WHOA eine zusätzliche Finanzierung zu gewähren, da sie keinen nachfolgenden Insolvenzverwalter fürchten müssen. In diesem Zusammenhang wurde auch Klarheit in Bezug auf die Verrechnung geschaffen. Dabei wurde festgelegt, dass die Verrechnung im Rahmen der WHOA-Finanzierung (Finanzierung der Fortsetzung des Unternehmens) in gutem Glauben erfolgt und dass diese nicht angegriffen werden kann (Artikel 54 Absatz 3 Fw).


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24 september 2019

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